Der kalte Baum
Sieglind von Leuchtenberg
Die liebte einen Grafen
Obwohl sie eine Witwe war
Und Mutter von'nem Knabenpaar.
"Graf Sulzberg", schrieb die holde Fee,
"Dich lieb ich ohnegleichen,
Verlange was Du willst von mir,
Laß nur Dein Herz erweichen."
Der Graf erwiderte wutentbrannt:
"Was kommt Dir in den Sinn,
Wie kann ich Deine Kinder lieb'n,
So ich nicht ihr Vater bin?"
Darauf die Gräfin, ohn' Gewissen,
Wirft ihre Kinder ungesäumt
Von einem hohen steilen Fels,
Tief in die kalte Flut der Pfreimd.
Und sagt dem Graf beim Stelldichein:
"Die Kinder mußten für Dich sterben,
Die unserm Glück im Wege war'n,
Jetzt kannst Du ruhig um mich werben."
Graf Sulzberg wurde blaß vor Zorn,
Und stieß in seinem Schmerz
Das Ritterschwert der Rabenmutter
Tief ins eisig kalte Herz.
Und wie er sie begrub,
Da fiel aus sein'm Gwand
Ins Grab ein großes Samenkorn,
Herbeigebracht vom heil'gen Land.
Das Samenkorn fing an
zu keimen - am Straßensaum,
Und aus dem kalten Herz
Erwuchs der Kalte Baum.